Vorab eine kleine Kostprobe auf Jaundeutsch:
Jùutütsch, an appartìgì Tütschschwyzer Mùndart
Jùutütsch ìsch d Mùndart va dr Gmìi Jùu (Jaun) mit de bìede Düerfer Jùu ù Fàng (Im Fang) im Kanton Frybùrg. Jùu isch dì enzìgì tütschspraachìgì Gmìi ìm Grüerschbìzìrk (Greyerzerland), ù ds Jùutütsch ìsch ìnnerhaùb va de Tütschschwyzer Mùndarte eppes Appartegs. Dia Mùndartspraach gküert zum Höchstalemannische ùn ìsch fasch mia mitem Berner Oberländisch wa mitem Senslertütsche verwàndt. De Grùnd derfüür ìsch a spraachlìchì Isolation va Jùu: Z desúús (ìm Weschte) ìsch d Spraachgrenza zu de Wäùtsche, wa mù Französisch red, früer Patois, im Norde isch dr Wääg in de tütschspraachìg Sensebezìrk mìt hueje Bäärga versperrta, wa mù nùmme ùber de Nüischels (Euschelspass) ds Fues drùber chòò. Aber òò dì Kontäkt zum Sübetaù (Simmental) ìm Kanton Bärn sì lengì Zyt iender raar gsy, syt ass sì enetem Brùch (Jaunpass) dr Glùube tùsche hìi, aber Jùu katòòlesch blyben ìsch.
Und? Konnten Sie den Text lesen?
Ich habe meine Kindheit in Jaun, „z’Mìtts ìm Duerf“ verbracht. 1952 verliess ich mein Heimatdorf, um in Freiburg (Collège St. Michel) und Matran/FR (Collège St. Joseph) das Gymnasium zu besuchen. Danach absolvierte ich eine Erstausbildung zum Chemiekaufmann, in den Folgejahren studierte ich berufsbegleitend Betriebswirtschaft und -organisation. Später folgte eine Zusatzausbildung in Gesundheitsökonomie. In meiner beruflichen Funktion war ich zu Beginn Projektleiter im Pharmabereich. Ab 1990 standen Projektleitungen innerhalb des Gesundheitswesens in der Schweiz und in Deutschland im Zentrum meines beruflichen Engagements. Seit 1999 bin ich nebenamtlicher Dozent für Gesundheitsökonomie, Betriebsorganisation, Projektmanagement und deutsche Sprache.
Schon zu meiner Gymnasialzeit fiel mir das Besondere am jaundeutschen Dialekt auf, weil ich mit meinem Jùutütsch nicht immer verstanden wurde. Das Interesse an der Besonderheit dieses Dialektes wurde dann im Jahre 1982 schlagartig geweckt, als ich bei dem damals durchgeführten Wettbewerb für den Jauner Dialekt den ersten Preis entgegennehmen durfte. Dieses gesteigerte Interesse hat mich dann vor wenigen Jahren bewogen, mich in wissenschaftlicher Hinsicht mit diesem Dialekt auseinanderzusetzen. Zu diesem Zweck habe ich mich an der Universität Zürich in den Fachgebieten Dialektologie, Phonetik, Lexikologie und Lexikografie weitergebildet. In Zusammenarbeit mit dem Institut für das Schweizerdeutsche Lexikon (Idiotikon) an der Uni Zürich sind dabei die Richtlinien für die Schreibung dieser Mundart bereinigt worden. Dr. H. P. Schifferle, Dozent an der Universität Zürich und Chefredaktor des Idiotikons, sowie Dr. Heinz Gallmann, Autor des Zürcher und des Schaffhauser Wörterbuchs, stehen mir in fachlicher und wissenschaftlicher Hinsicht zur Seite.
Das Jaundeutsche ist eine lebendige Mundart, welche heute noch in zwei Dörfern im Jauntal (Greyerzbezirk, Kanton Freiburg) gesprochen wird, nämlich im Dorf Jaun, den umliegenden Weilern und im Dorf Im Fang. Jùutütsch ist ein wesentliches Kulturelement dieser Region. In seinem Buch „Die Mundart von Jaun“ hat Dr. Karl Stucki schon im Jahre 1917 nachgewiesen, dass in diesem Dialekt weit mehr Sprachelemente aus dem Mittelalter, d. h. aus dem Althochdeutschen, erhalten geblieben sind als in allen anderen Mundarten der Deutschschweiz. Im Jaundeutschen finden wir altertümliche Sprachmerkmale, die für die alpinen Gebiete Oberwallis, Berner- und Freiburger Oberland charakteristisch sind. Diese zählen zur Gruppe des „Höchstalemannischen“, um sie von den übrigen, „hochalemannischen“ Dialekten der Deutschschweiz abzuheben.
Beim Thema Mundart oder Dialekt sind zurzeit zwei unterschiedliche Trends erkennbar: Auf der einen Seite setzen nicht nur private Medien (ein schönes Beispiel dafür ist der von Josef Vaucher in Freiburg herausgegebene Häperetùmmer), sondern auch das Schweizer Fernsehen vermehrt auf Schweizerdeutsch, auf der anderen Seite werden unsere Mundarten aus den Schulzimmern verbannt. Und zwar immer vehementer. Sogar beim Basteln und Turnen im Kindergarten und in der Primarschule wird auf Hochdeutsch unterrichtet. Da diskutierte ich neulich im Zug mit einer Polin – auf Hochdeutsch, damit sie mich verstand. Sie wehrte sich: ich solle Schweizerdeutsch mit ihr reden. Schliesslich lebe sie in der Schweiz und wolle jene Sprache verstehen und reden lernen, die hier gesprochen wird.
Ein Dialekt wächst einem in der Deutschschweiz von seinen Eltern und seiner Umgebung zu. Sich als Jaunerin oder Jauner den Erwerb der örtlichen Mundart als eigenes Verdienst anzurechnen, gibt es demzufolge nicht – allerdings gibt es auch keinen Grund, diesen einmal erworbenen Dialekt in der Vielstimmigkeit der schweizerdeutschen Dialekte untergehen zu lassen.
Sprachliche Bedeutung
Marie-José Kolly weist in ihrer Bachelor-Arbeit „Phonetik und Phonologie des Jaundeutschen“ u. a. nach, dass die Jaundeutsche Mundart eine viel grössere Anzahl Vokal-Laute (-Phoneme) enthält als alle anderen bis heute untersuchten Sprachen der Welt, und zwar 23 Vokale. Ein ebenso bedeutendes Merkmal ist die grosse Anzahl der im Jaundeutschen enthaltenen Diphthonge (au, ei, eu…), nämlich 10. Diese Erkenntnis macht das Jaundeutsche zu einem sprachwissenschaftlichen Phänomen.
Ein jaundeutsches Wörterbuch
Das Wörterbuch richtet sich in erster Linie an sprachinteressierte Laien, die sich vor allem für die seltenen und alten, aber auch die heute gebräuchlichen Wörter und ihre Bedeutung interessieren. Dabei sollen die Aussprache-Unterschiede zwischen den einzelnen Ortsteilen und jene zwischen den Generationen nicht vergessen werden. Die Schreibweise der Wörter steht dabei nicht im Vordergrund, es soll vielmehr ein Lesebuch mit Unterhaltungswert sein. Zu diesem Zweck werden möglichst viele Redewendungen und Redensarten aufgeführt und zudem wird das Wörterbuch mit schwarz-weissFotos aufgelockert sein. Damit soll die Vielfalt und die Lebendigkeit des Jaundeutschen aufgezeigt werden. Das Wörterbuch enthält schliesslich Angaben zur Herkunft (Etymologie) und Geschichte der Wörter. Es ist 2014 erschienen.
Schreibweise
Die gewählte Schreibweise befolgt im Grossen und Ganzen die Richtlinien der Dieth-Schreibung (Schwyzertütschi Dialäktschrift, 2. Auflage) und die Richtlinien für die Schreibung der Deutschfreiburger Mundarten aus dem Jahre 1963. Die notwendigen Abweichungen – zur Hauptsache als Folge der im Jaundeutschen enthaltenen speziellen Laute – sind mit Hilfe umfassender fachlicher Unterstützung der Leitung des Schweizerdeutschen Wörterbuchs (Idiotikon) festgelegt worden. Es gilt die Grundregel: „Schreibe wie du sprichst!“.
Förderverein
Die vom Deutschfreiburger Heimatkundeverein (HKV) und der Deutschfreiburger Arbeitsgemeinschaft (DFAG) empfohlene Gründung eines Fördervereins unter der Bezeichnung „Jùutütsch“ erfolgte am 2. Juni 2012. Dieser hat u. a. den Zweck, in Form eines Pilotprojektes den noch nicht gesicherten Anteil an der Finanzierung des Jaundeutschen Wörterbuchs zu gewährleisten. Ausserdem sollen in Form dieses Vereins alle Bestrebungen und Kräfte zur Förderung und Erhaltung der jaundeutschen Mundart gebündelt werden, dies in enger Zusammenarbeit mit den im Kanton bestehenden Organen mit ähnlicher Zielsetzung. Mit der Übernahme der Patronatsfunktion bringen Dr. Marius Cottier und die Gemeinde Jaun zum Ausdruck, dass ihnen die Gründung des Fördervereins ein grosses Anliegen ist. Präsident ist Beat Schuwey aus Im Fang.
Website
Auf der Internetseite www.jaundeutsch.ch wird über den jaundeutschen Dialekt informiert. Die Besonderheiten des Dialektes werden erläutert und die Aussprache wird erklärt. Der Internetauftritt dient vor allem auch der Ausarbeitung des Wörterbuchs. Durch die multimedialen Möglichkeiten soll der Dialekt auch zu hören sein. Dies ist besonders deswegen von Bedeutung, weil bei der jüngeren Generation viele Dialektwörter in Vergessenheit geraten.